S. Schaffer u.a. (Hrsg.): The Brokered World

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Title
The Brokered World. Go-Betweens and Global Intelligence, 1770-1820


Editor(s)
Schaffer, Simon; Roberts, Lissa; Raj, Kapil; Delbourgo, James
Series
Uppsala Studies in History of Science 35
Published
Extent
522 S.
Price
EUR 127, 95
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Sünne Juterczenka, Universität Rostock

Im Zentrum des vorliegenden Bandes steht eine faszinierende, aber zugleich problematische Figur. In letzter Zeit hat sie die Kulturwissenschaften zusehends beschäftigt 1, bleibt jedoch äußerst schwierig zu fassen und firmiert unter zahlreichen Namen: Makler, Vermittler, Unterhändler, Übersetzer, Agent, Grenzgänger – im Englischen auch broker, im Französischen passeur culturel (Serge Gruzinski). Selbst wer sich auf den Begriff "go-between" festlegt, entledigt sich damit nicht der grundsätzlichen Problematik: Wer oder was ist das überhaupt – oder, umgekehrt gefragt und kaum leichter zu beantworten, wer ist es nicht? Dem Band liegt eine denkbar weite Definition zugrunde. Als go-between fungieren in den enthaltenen Fallstudien nicht nur Personen, sondern ebenso deren Körper, auch Tiere, Pflanzen, Dinge oder Substanzen.

Am meisten überzeugt diese Verwendung bei Juan Pimentel, der in seiner glänzend erzählten Geschichte über den peruanischen Naturaliensammler Pédro Franco Dávila systematisch Verbindungen und Gemeinsamkeiten zwischen menschlichen und nicht menschlichen go-betweens freilegt: Sie begegnen sich zum Beispiel in der Naturaliensammlung des späten 18. Jahrhunderts, einem Ort des Chaos und der Verwandlung, einem "intermediate environment" (S. 339). Dávila schuf den Grundstock für die königliche spanische Naturaliensammlung, zu der das rätselhafte "Megatherium" (Riesenfaultier) zählte, das seinerseits naturhistorisches Wissen vermittelte. Pimentel zeigt, wie wichtig es ist, solche individuellen Akteure und Objekte in den Blick zu nehmen, um der Logik und den Mechanismen der Vermittlung auf die Spur zu kommen.

Im Gegensatz zum unscharfen Leitbegriff erhält der Fokus des Bandes in der Einleitung klare Konturen: Chronologisch ist er auf das 'Zeitalter der Revolutionen' im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert begrenzt, geographisch bewegt er sich zwischen dem atlantischen, dem pazifischen und dem südasiatischen Raum. Die Herausgeber/innen wenden sich gegen die These, bei zunehmender globaler Homogenisierung hätten die zahlreichen mächtigen, etwa zwischen 1770 und 1820 entstehenden kolonialen Institutionen den go-between verdrängt. Im Mittelpunkt ihres Interesses stehen Wissen und Wissenschaft; konzeptionell grenzen sie sich sowohl von einem diffusionistischen Modell der Wissensverbreitung (S. xi) ab, als auch von der Vorstellung grundsätzlich konfrontativ verlaufender Kulturkontakte im Rahmen der europäischen Expansion (S. xv).

So betrachtet Simon Schaffer die Übersetzung von Newtons Principia ins Arabische durch den schiitischen Gelehrten Tafazzul Husain Khān, der zwischen der East India Company (EIC) und den Fürsten der Awadh-Region vermittelte, und den resultierenden Austausch zwischen britischen und indischen Gelehrten. Er zeigt, wie es kolonialen Verwaltungsbeamten gelang, Sanskrit-Astronomie und Newtonsche Planetentheorie in einen vermeintlichen genealogischen Zusammenhang zu bringen. EIC-Militärs projizierten die Ursprünge indischer Astronomie in eine ferne Vergangenheit, stellten zugleich die zeitgenössische indische Wissenschaft als Verfallsprodukt dieser früheren Blüte dar und legitimierten so die britische Präsenz, der sie deren Wiederentdeckung zuschrieben.

Wissensräume und die Zirkulation von Wissen zwischen Europa und Australien untersucht David Turnbull anhand der Vermittler Bennelong, William Dawes, Bungaree und William Buckley. Auch er stößt dabei nicht etwa auf eine kontinuierliche Ausweitung des europäischen und dauerhafte Unterdrückung des indigenen Wissens, sondern vielmehr auf eine Serie von Transformationen.

Lissa Roberts demonstriert am Beispiel der Dampfmaschine, dass auch technologische Entwicklungen nicht durch einen engen Personenkreis initiiert werden und so geradlinig verlaufen, wie es Konzepte wie das "industrial enlightenment" nahe legen. Im Mittelpunkt des von ihr untersuchten Netzwerkes unternehmerisch tätiger Ingenieure steht der niederländische Direktor einer Gesellschaft zur Beförderung der Dampfkraft, Huichelbos van Liender, der auch zwischen Erfindung und Anwendung, Angebot und Nachfrage vermittelte.

Wie komplex die Vorgänge und wie verschlungen die Pfade der Vermittlung oft sind, zeigen Kapil Raj und Margaret Meredith. So verdeutlicht das Beispiel von "knowledge brokers" in Kalkutta: Die einzelnen Vermittlungsakte können so stark vernetzt sein, dass sie kaum mehr voneinander zu trennen sind. An Edwin Hutchins' Konzept der "distributed cognition" anknüpfend spricht Raj daher von "distributed intermediation" (S. 134), die nicht nur Nutznießer einschließt, sondern auch diejenigen, die die Generierung von Wissen ermöglichten.

Meredith widmet sich am Beispiel des fossilen "Incognitum" (Mammut) transatlantischen Gelehrtennetzwerken zwischen 1780 und 1815, auf die der niederländische Zoologe Pieter Camper zurückgriff, um nachzuweisen, dass es sich bei den Knochen um eine ausgestorbene Spezies handelt. Seine Kommunikationskanäle kamen primär durch persönliche Kontakte (vor allem im Zusammenhang mit Reisen) zustande.

Der go-between erweist sich demnach als äußerst mobil und als Verwandlungskünstler, der rasch Ort und Gestalt wechseln und sich neuen Gegebenheiten anpassen kann. Er macht sich daher oft verdächtig, weil nicht immer klar wird, wessen Agenda er verfolgt (oft genug ist es eine ganz eigene). Dass "go-betweens" einerseits zwar unzuverlässige "trickster" sind, andererseits aber Welten zusammen führen, die sonst wohl getrennt blieben, zeigen besonders zwei Beiträge. Hipólito José da Costa, der im portugiesischen Auftrag in den spanischen und britischen Territorien Amerikas spionierte, um landwirtschaftliche Ressourcen nach Brasilien zu transferieren, vermittelte im Zuge seiner schriftstellerischen Tätigkeit zugleich Wissen von Amerika nach Europa. Wie Neil Safier zeigt, wechselte er später die Richtung, indem er – nun aus dem Londoner Exil – im Rahmen seiner politisch-publizistischen Aktivitäten den Status Brasiliens innerhalb des portugiesischen Empire zu stärken suchte.

James Delbourgo charakterisiert den Naturforscher, Schriftsteller, Diplomaten, Doppelagenten und Projektemacher Edward Bancroft im Gegensatz zu da Costa als "imperial Creole" (S. 317). Bancroft betätigte sich in den 1760er-Jahren in Guiana, während der Amerikanischen Revolution in Paris und schließlich als Importeur von Farbstoffen und Chemiker in London. Delbourgo betont die Bedeutung indigener Informanten (derer sich Bancroft bediente, während er ihre Leistungen gegenüber seiner eigenen Vermittlung zugleich herabsetzte).

Zwei Beiträge thematisieren neben der räumlichen Dimension die Grenze selbst, die der go-between nicht nur überschreitet, sondern die ihn geradezu konstituiert. Robert Liss zeigt an drei Beispielen (der Hafenstadt Nagasaki, dem Gelehrten Hiraga Gennai und dem Reisenden Moritz von Benyowsky), dass die japanische Politik des sakoku in der Praxis weniger eine komplette Abriegelung und Isolation war als vielmehr eine Strategie, die vielfältigen Austausch zuließ. Zugleich aber half sie gerade bei der Handhabung kultureller Grenzziehungen.

In ihrem Beitrag über den Einsatz der ersten industriell verarbeiteten Nahrungsmittel auf französischen Expeditionsschiffen beleuchtet Emma C. Spary die Rolle des (europäischen) Körpers als liminaler Kontaktzone und zugleich Makler zwischen verschiedenen Kulturen und (natürlichen wie sozialen) Milieus. Diätetische und kulinarische Diskurse und Praktiken dienten ihr zufolge ebenso der Selbsterhaltung wie der Legitimierung von Machtstrukturen.

Trotz der zunächst unbefriedigenden begrifflichen Vagheit gelingt es den Autor/innen also, wesentliche Merkmale der so unterschiedlichen go-betweens und ihrer Tätigkeiten zu benennen. Dazu gehört es nach Sanjay Subrahmanyam, der den Band mit grundsätzlichen Überlegungen beschließt, dass der "go-between" Vorgänge ermöglicht, die ohne ihn undenkbar wären: er agiert als "third party in a transaction where the two other parties […] are themselves incapable of completing it in the absence of mediation." (S. 430) Dabei bleibt er immer eine Randfigur, wird nie zum Hauptakteur ("principal", S. 440). Oft bedeutet dies, dass ein "go-between" verschwindet oder von vornherein unsichtbar bleibt. Dies gilt offenbar besonders für Frauen, die – abgesehen von Doña Marina (Malinche), der Dolmetscherin und Geliebten von Cortés, die bei der spanischen Eroberung Mexikos eine so wichtige Rolle spielte – in diesem Band leider kaum vorkommen. 2

Eine Stärke liegt indessen in der breiten Materialbasis: Die Beiträge greifen auf gedruckte Quellen und unpublizierte Archivalien zurück; sie sind großzügig mit Karten und Abbildungen ausgestattet. Zusätzlich zu der für jeden Beitrag einzeln ausgewiesenen Literatur sind eine ausführliche Bibliographie und – für Sammelbände nicht selbstverständlich – ein umfangreiches Register enthalten. Nur wenige Bände sind so kohärent wie dieser. Den Beiträgen ist nicht nur eine große thematische und konzeptionelle Affinität, sondern auch ein offenkundig anregender Austausch ihrer Verfasser/innen im Vorfeld der Publikation anzumerken. Dies hat – last but not least – zu dem vielleicht erfreulichsten Ergebnis beigetragen: Sie lesen sich ganz ausgezeichnet. Insgesamt also ein empfehlenswerter Band, der seinen stolzen Preis durchaus wert ist.

Anmerkungen:
1 Vgl. zuletzt Mark Häberlein, Alexander Kneese (Hrsg.), Sprachgrenzen. Sprachkontakte. Kulturelle Vermittler. Kommunikation zwischen Europäern und Außereuropäern (16.-20. Jahrhundert) (Beiträge zur europäischen Überseegeschichte 97), Stuttgart 2010.
2 Vgl. zu Malinche als "go-between" schon Stephen Greenblatt, Marvelous Possessions. The Wonder of the New World, Chicago 1991, S. 143.

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Published on
20.05.2011
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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